Mittwoch, 30. Oktober 2013

Ziegen

Ziegen sind neben dem Hund die Tiere, die sich am frühesten dem Menschen anschlossen. Das ist für mich nicht verwunderlich, sind es doch mit die nettesten Haustiere, die ich mir vorstellen kann. Neugierig sind sie, und dem Menschen zu gewandt. Ein Ziegen haltender Freund sagte mir einmal, dass die Ziegen eher zum Menschen hin gingen, denn vor ihm flüchten. Wenn Ziegen scheu sind, dann werden sie nicht richtig gehalten.

Ich selber durfte Mitte der achtziger meine eigenen Erfahrungen mit Ziegen machen, denn zu dem kleinen Hof in Ostfriesland, welchen wir als Gruppe übernahmen, gehörte auch eine kleine Ziegengruppe, fünf Muttertiere und ein Bock. Mir oblag es, sich um diese Tiere zu kümmern. 

Ziegen leben nicht in Herden, sie leben in Gruppen. Und: Es sind wirklich die Ziegen, welche in Gruppen leben, die Böcke streifen einzelgängerisch durch das Land und treffen die weiblichen Tiere nur in der Paarungszeit. Auch wir hatten den Bock, Pan hieß er, in einem eigenen Stall gehalten. Schon aus dem Grunde, dass er etwas streng roch, und sich das Odeur auf die Milch übertragen hätte. Denn unsere Ziegen waren unsere Milchlieferanten. Wir stellten dann daraus Ziegenkäse her.

Innerhalb der Ziegengruppe gibt es eine Leitziege. In der Zeit, wo ich die Gruppe übernahm, stand dort gerade ein Wechsel ins Haus, die alte Leitdame namens Frieda wurde abgelöst von einer kräftigen Ziegenfrau mit dem Namen Gazelle. Das ging nicht ganz unfriedlich ab, und Frieda zeigte einige Zeit nach der Absetzung Anzeichen von Depression, bis sie sich in ihre neue untergeordnete Rolle eingefügt hatte.

Nachdem ich einige Zeit vom Vorbesitzer der kleinen Gruppe angelernt worden bin, musste ich meine Rolle als neues "Leittier" in der Gruppe finden. Das war nicht ganz einfach. Als ich das erste Mal alleine melkte, bekam ich das zu Spüren. Andauernd hatte ich wieder einen Ziegenfuß im Melkeimer, Frieda machte sich einen Spaß daraus, mich auszutesten. Und während ich immer hilfloser wurde, und das wohl spürbar war, meckerte die ganze Bande fröhlich, ich fühlte mich wie ausgelacht.

Unsere Ziegen kamen nach einem morgendlichen Hütegang in einem Buschland, welches zu unserer Hofstatt gehörte auf die Weide. Wir hatten drei Koppeln, damit die Ziegen immer eine nach und nach abweiden konnten. Auf der mittleren Koppel befand sich, noch einmal durch einen Zaun abgetrennt, der Hühnerstall mit dem dazugehörigen Scharrgehege. 

Ich war noch verhältnismäßig unvertraut im Umgang mit den Tieren, alles war für mich noch neu, als ich eines Abends zum Füttern der Hühner das Scharrgehege durch das Tor im Zaun betrat. Ich schloss hinter mir das Tor, doch wohl nicht genügend. Denn schon nach kurzer Zeit stand hinter mir Gazelle, die mittlerweile die Leitziege war, hinter mir im Scharrgehege und knabberte fröhlich den für die Hühner gedachten Mais. An diesem Tag befand sich die Ziegengruppe auf der mittleren Koppel.

Ich packte Gazelle bei den Hörnern und komplimierte sie aus dem Hühnergehege. Unsere Ziegen waren thüringische Bergziegen, mit Hörnern, und ich fand die "Griffe" am Kopf schon immer praktisch. Ich wandte mich wieder dem Hühnerfüttern zu, doch schon nach kurzer Zeit kam mir Gazelle wieder ins Gehege. Wortwörtlich. Noch einmal packte ich sie, und verfrachtete sie auf die Koppel.

"Dreimal ist Bremer Recht", und so sollte es auch hier ein drittes Mal geben. Nur ließ sich diesmal Gazelle nicht so einfach bei den Hörnern packen, sondern lief immer hübsch rundherum um das Hühnerhaus, und ich wie ein Depp hinterher. Bis ich einfach die Richtung wechselte und ihr entgegen kam. Den Trick kannte sie noch nicht, und so konnte ich sie ein drittes Mal packen.

Ich also mit dem Vieh an den Hörnern hinter mir her auf die Koppel, wir beide waren wohl schon etwas wütend, ich für meinen Fall sicher. Gazelle wohl auch, denn als ich sie los ließ, da stellte sie sich auf die Hinterbeine, ließ einen Schnarchlaut hören und schlug mit den Hörnern nach mir. Da wurde es mir doch zu bunt. Noch einmal packte ich sie, führte sie trotz ihres sich Wehrens zu Boden und fixierte sie mit einem Bein. So hielt ich sie eine Weile, bis meine Wut verraucht war.

Dann ließ ich sie wider los, sie stellte sich auf. Zuerst wollte ich ins Hühnergehege zurück, doch dann machte ich kehrt, denn ich wollte die Sache so nicht stehen lassen. Ich setzte mich in der Hocke vor Gazelle, so dass wir Aug in Auge zu einander waren. Ziegen haben faszinierende Augen mit wunderlichen rechteckigen Pupillen. Etwas Geheimnisvolles liegt darin.

Nachdem wir uns eine Weile angeschaut hatten, begann ich zu reden. Ich erzählte ihr, dass ich das so wirklich nicht wolle, diesen Kampf und Krampf, und dass mir an einem friedlichen Zusammensein gelegen sei. Das alles und mehr redete ich mir von der Seele, während ich Aug in Auge mit der Leitziege dasaß.

Dann ging zurück zum Hühnergehege und streute weiter mein Futter. Ich beobachtete, wie sich Gazelle erneut dem Tor zum Gehege näherte. Ich ging zu diesem Tor, und wieder schauten wir uns an, ich auf dieser Seite, sie auf der anderen. Dann grinste sie mit einem Male, Ziegen können einen wundervoll frechen Gesichtsausdruck annehmen, stupste mit ihren Hörnern an das Tor gemäß dem Motto "Wenn ich wollte, könnte ich", grinste noch einmal, wendete sich und ging ihrer Wege.

Nach diesem Ereignis war ich als "Leitziege" anerkannt, es entwickelte sich ein vertrauensvolles Beisammensein mit den Tieren. Ich hatte sie in mein Herz geschlossen, die liebenswerte Bande. Und beim Melken hatte ich auch keine Probleme mehr.

Nächstens mehr.




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