Samstag, 31. August 2013

Ausgebrochen

"Wie Zeit ein Maß für Bewegung ist, ist Geld ein Maßwert für Materialwert und Macht, ein Buchhaltungssytem, und wenn das unverstanden bleibt, kann es passieren, dass ein Volk mit materiellen Überfluss aus Mangel an rein symbolischen Barvermögen verhungert."

Aus: Alan  W. Watts "Was hält das Zeug  -  Beziehungen zwischen Mensch und Materie"

So, dann ist jetzt wieder einmal ein "Krieg ausgebrochen". Als wäre Krieg ein Wesen, welches hinter Käfiggittern gehalten handzahm vor sich hin vegetiere, doch wenn es denn "ausbräche" - beklagenswert, aber unabwendbar. Böse halt, dieses Viech.

Wenn "Krieg" so ein Wesen wäre, dann wäre ich wohl der erste, der sagte: "Lasst es frei  -  Denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein!". Einige existenzialistische Dichter haben es ähnlich gesehen. Bis sie wirklich im Krieg waren, der damals der "erste Weltkrieg" hieß. Dieser ist irgendwie seit damals nicht wirklich eingefangen worden, dieser ausgebrochene "Weltkrieg".

Nun lässt sich mit einem "ausgebrochenen Krieg" gutes Geld verdienen. Einmal, weil so schön viel Plunder verkauft werden kann, der knallt und explodiert und Menschen tötet, zum anderen, weil so schön viel kaputt gemacht wird, was wieder aufgebaut werden möchte.

In das Bruttosozialprodukt eingearbeitet sieht das nach einer schönen Jobbilanz aus. Die Agenturen für Arbeit, wie diese Ämter jetzt im Neusprech heißen, wirds freuen.

Wovon lebst Du?




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Freitag, 30. August 2013

Die Quelle im Pfirsichblütenwald

Heute, an meinem sonnig untätigen Frei-tag bin ich auf meinem transzendentalen Dachboden und lese in den Büchern. Das folgende taoistische Märchen hat Dr. Harald Gutherz (1880 - 1912) nacherzählt. Es findet sich im Anhang des Buches Tao Te King von Laotse in der Übersetzung von Richard Wilhelm.

"Es lebte einst, zu Zeiten Tai Yüans, ein Fischer in Wuling. Dort war ein Fluss, auf dem er aufwärts fuhr, und er vergaß, ob weit, ob nahe er gefahren war, als da ein Wald ganz hell von Pfirsichblüten beide Ufer wohl hundert Schritte tief umfing. Da gab es keine anderen Bäume; frisches, schönes Duftgras nur, in das sich Pfirsichblütenblätter niederstreuten. Der Fischer wunderte sich sehr darüber, und er fuhr noch weiter, denn er wollte wissen, wo des Waldes Ende war. Am Waldesrande aber war ein Berg, da quoll der Fluss heraus, und es war auch ein kleiner Gang hinein  -  wie lichtumschwebt.

Dort trat er ein - es ging gerade - wenig Schritte weiter aber ward es hell und weit  -  ein weithin ausgedehntes Land. Zwischen guten Feldern, schönen seichten Wasserflächen lagen sauber Hütten und auch Häuser, Wege führten kreuz und quer, es gab wohl alle Arten Bambuspflanzen und viele Maulbeersträucher. Von jedem Dorf zu dem andern klang die Antwort von den Hunden und den Hühnern. Männer und Frauen  -  ganz wie bei uns  -  säten die Felder; friedlich und froh des eigenen Tuns waren so Kinder als Greise.

Sie staunten, als sie unseren Fischer sahen und ihn dann befragten; über seine Rede aber luden sie ihn ein zu sich und gaben ihm vom Wein und schlachteten zum Mahl die Hühner. Im Dorf hörte man davon, und jeder kam und fragte. Selbst erzählten sie, dass ihre Eltern einst zur unruhigen Zeit von Tsin Schi Huang mit Frau und Kind und allen Leuten fort- und hergezogen seien, dass von damals her nicht einer mehr herausgekommen sei, und dass sie auch daher nicht wüssten von den Menschen draußen. Wer wohl König sei, fragten sie; sie kannten nicht die Dynastie der Han, geschweige denn die der We und Dsin. Der Fischer aber gab ihnen von allem Kunde, was er wusste, dass sie nur so lauschten. Mancher Tag verging ihm dort auf diese Weise, eingeladen und bewirtet, wie er war, mit Wein und Speise. Dann beim Abschied meinten sie, es sei wohl nicht der Mühe wert, den Leuten draußen was davon zu sagen.

Der Fischer kam wieder heraus, bestieg sein Boot zur Heimkehr und behielt genau die Orte der Umgebung im Gedächtnis. In der Hauptstadt des Bezirkes gab er den Beamten hübsch Bericht, und der hat Boten ausgesandt nach jener Schilderung. Die haben sich dabei verirrt und nicht den Weg gefunden. - - - 

Wohl ging noch Liu Dsi Ki, der Weise aus dem Süden, frischen Mutes auf die Suche. Aber ehe er Erfolg erreichte, ward er krank und starb. Seither hat niemand nach dem Weg gefragt."

Ein geschenkter Tag

Wieder scheint die Sonne am Morgen. Ich streife durch den Garten, ziel- und zeitlos. Nicht einmal eine der reifen Frühzwetschgen möchte ich naschen. Es ist kein Tag für Tun.

"In der Welt von Symbolen und Abstraktionen, die bruchstückhaft in Worte gekleidet werden, ist der Mensch ein Ding für sich unter anderen Dingen." (Aus: Alan w. Watts  -  "Was hält das Zeug  -  Beziehungen zwischen Mensch und Materie)

Nun bin ich kein Ding, weder für mich noch für andere. Es gibt diese Tage des einfachen Seins, weder glücklich noch unglücklich, und es bedarf nur des Annehmens, dessen, was ist, und die Welt beginnt zu lächeln.

Ein geschenkter Tag. Wohl dem, der solche Geschenke anzunehmen weiß.






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Donnerstag, 29. August 2013

An einem Morgen wie diesem


So war es immer. Die Luft mild und freundlich, der Mond schickte sich an, in wenigen Tagen als Vollmond zu erscheinen, und nur wenige Wolken zogen durch die Dämmerung des beginnenden Tages. Er lauschte dem Morgenlied einer Amsel, und er ging noch einmal alles durch: Garten, Haus und Stall so bestellt, dass die alte Muhme sie mit den geringen Kräften, die sie noch hatte, pflegen konnte, den Rucksack gepackt: Regenjacke, Decke, Brot, Wurst, Käse, Honig und Wasserflasche, Flöte und Feuerbesteck, alles an seinem Platz. 

Er schaute noch einmal zurück zum dunklen, schlafenden Haus, dann begab er sich auf den Weg zum nahen Walde. "Die Sterne stehen gut", dachte er. Tief atmete er durch, genoss die reinigende Kraft der Morgenluft und seine Seele begann zu lächeln, als er Vogel um Vogel Lieder anstimmen hörte, es war ihm, als begrüßten sie den Wanderer. Über einigen Wiesen lag Nebel, doch der Wald vor ihm stand dunkel und schweigend und erwartend. 

Vor drei Tagen hatte ihm im Traum ein Etwas berührt, er konnte sich nicht mehr erinnern, was genau das war, ein Engel, ein Elfe oder ein Faun, es war auch egal, er erkannte das Gefühl wieder, jenes, das in ihn wissen ließ, dass jetzt die Zeit war, seine Wanderung zu beginnen. In seinem Kopf kreisten die Gedanken wie Adler im Fallwind, und sein Blick ließ die Wolken befragen. In den morgendlichen Wolken dieses Bild: An der Nahtstelle dieser zu der anderen Welt, direkt am Tore, wohnt ein altes Pärchen, und des sommers sitzen sie oft vor der Haustüre ihres Häuschens, Wein trinkend und schweigend. Er die faltigen Hände auf einen Stock gestützt und den Kopf darauf gelegt, sie mit fernem Blick die Regenbögen herbei ahnend.
Er betrat den Wald. wurde von der Sanftmut der Buchen umhüllt und der Wächterbaum am Eingang begrüßte ihn mit von einem leisen windbewegten Lächeln der Blätter. Die Stimmen der Vögel vereinigten sich zu einem Chor, der in das lichtgrüne Blätterdach des lebendigen Domes des Waldes aufstieg.  

Er erinnerte sich an etwas aus seinem Traum, etwas, das ihm der ElfenFaunEngel geflüstert hatte. Dieses mal würde ihm eine Gefährtin geschickt werden, und zusammen würden sie ihre Wanderung aufnehmen und die Wunder erfahren. Sonnenstrahl um Sonnenstrahl kam durch Wolken und Blätterdach und das Buchengrün kleidete sich in einem goldenen Schimmer, schwebende Schleier tanzten im Morgenlicht. Verwundert schaute der Wanderer sich um, diesen Teil des Waldes kannte er noch nicht. Er fühlte sich fremd vertraut auf seinem Weg und da war dann auch das alte Häuschen und davor saß ein alter Mann, die Hände auf einen Stock gestützt und den Kopf darauf gelegt, vor ihm ein Glas Wein, und eine alte Frau saß bei ihm mit Augen, die in weite Fernen schauten.

Zögernd trat er heran, grüßend, und der alte Mann nickte, die alte Frau lenkte ihren Blick auf ihn, ihren Regenbogenblick, um sich wieder abzuwenden und mit einer kaum merklichen Geste von Kopf und Hand auf das Rosenbogentor zu verweisen. Er dankte mit einer ebenso leisen Geste und nahm den gewiesenen Weg, durchschritt das Ranken der duftenden Rosen, betrat diesen Garten und folgte gewundenem Pfad.

Sie begegneten sich am Weiher. Die Zweige der alten Trauerweide schmeichelten dem sonnendurchfluteten Wasser, trinkend und nickend, über dem Flirren der lichtzitternden Wellen wie ein lebender Sonnenstrahl eine Libelle.

Sie schauten sich an und es war eine fraglose Gewissheit in ihnen. Um sie herum begann es in den Blüten zu tanzen, sie standen wie im Zauber, gebannt, und mit keiner Regung wollten sie diesen Tanz stören, schon waren sie nicht mehr nur Zuschauer, nahmen längst Teil am Geschehen. Die Bilder wurden heller, von den Füßen her zog ein klärender Hauch in die Kronen der schweigenden Bäume. Schichtung um Schichtung ihrer Seelen entgrenzten sich, und sie ließen sich ein auf ein kreisendes Spiel. 

Immer wenn die Atmosphäre dichter wurde, die Aura greifbarer, zogen sie sich zurück, um beim Wiedereintauchen in den Zauberkreis noch stärker zu glühen - es war ein Spiel mit der Distanz: Wie weit ging die Aura des anderen, wie weit strahlte das Willkommen, in dessen Kreise unverfänglich eingetreten werden durfte. . . und wenn sie nahe genug kamen, verschwand die Welt. 

So waren sie zeitlos in diesem wundersamen Garten, ein leiser Windhauch ließ ihren geblümten Rock aufwallen, und behutsam legte Pan seine Mittagsfeierlichkeit über die beiden, alle schrillen Töne vermied seine Flöte, eine Amsel sang aus ihr. Es war so weit. Die Göttin des Gartens hatte ihren Segen gegeben. Zitternd blieb der Waagebalken in der Schwebe liegen, Zukunft und Vergangenheit verschwanden, die Sonne stieg hinan an den Mittagspunkt, die Schatten verschwanden unter den Füßen, und sie folgten den Pfaden ahnungslos. Leicht ums Herz war ihnen, und immer wenn sie zueinander schauten, wussten und wussten sie voneinander, es war kein Geheimnis zwischen ihnen. Wie geführt gingen sie ihren Weg, sie begaben sich tiefer in den Garten hinein. Der Pfad führte sie zu den Himbeersträuchern, und sie naschten von den süßen Früchten, und sie zerdrückten die süßen Früchte im Mund und sie schauten sich an, und Adam reichte Eva die Frucht, und wie ein zutraulicher Vogel pickte sie ihm die Beeren aus der Hand. In ihr tauchten die Bilder der Gärten der Kindheit auf.

Sie setzten sich zueinander auf die  bemooste steinerne Bank hinter der dunklen Eibenhecke. Sie erzählte ihm von den Sonntagen, den sonnigeren Tagen der Kindheit: Als sie im Garten der Großtante so viele Johannisbeeren essen durfte, wie sie mochte, immer kopfüber eine Traube nach der anderen abzutschte, bis der ganze Gaumen sich zusammenzog und der Rachen und die Zunge sich pelzig anfühlten, und sie trotzdem nicht aufhören konnte. Süße Säure, Wärme, Glück, inmitten riesiger herzschlagbewegter Welt. Sie folgten den Wegen der Erinnerungen, war es ihr Garten der Kindheit, war es sein Garten der Kindheit? Beider Kindheit im Gleichklang der Erinnerungen.

Noch einmal gingen sie tiefer hinein in das wachsende Grün, im Erzählen und Lauschen folgten sie den Pfaden, ohne ihre Schritte zu lenken. Immer wieder schaute er nach ihr, während er ihrer Stimme lauschte, und es erschloss sich ihm ihre Welt, die ihm wie die eigene dünkte. Schließlich,  am anderen Ende des Gartens, bei den letzten Rosen, begann er zu erzählen. Nun war es ihr, als erzähle er von ihrer Seele, seine Worte hatten Hände, warme, zärtliche. So bot sie ihre Hände den seinen zum Geschenk, und wo er die seinen ruhen ließ, leicht wie ein flaumiges Küken, blieb eine kribbelnde Druckstelle, ein Wärmestern, und kribbeldikrabb leise Strömchen glitten auf und ab durch ihre Körper.

Seine Worte wurden mitternachtsviolett und türkis und glänzend wie Seide, seine Worte erzählten von den Rosen, und von den Rosen erzählte er: sie dufteten in seine Worte hinein, und er kannte sie alle: Die seltensten Arten und Sorten, die hundertblättrige und die tausendblättrige Rose, die schwarze Rose, die Steinrose von den klingenden Bergen, die zierlichen nachtsamtenen Dunkelrosen, welche nur drei Nächte im Sommer blühen, die Nacht aber mit einem solchen Duft umhüllen, dass ein jede, ein jeder ins Träumen gerät.

Ein Schleier wurde vom Garten gezogen, und alles zeigte sich in anmutiger Klarheit, lavendelmild legte sich ein Windhauch über allem, und wieder stand die Welt still, und im Innehalten begann Pan erneut der Schwarzdrossel Lied. In ihnen war etwas Scheues, etwas unerklärlich Zartes, sie wussten von dem Gehen des gemeinsamen Weges, sie wussten, dass sie hierher geführt waren an diesem Tag, um sich in diesem Garten zu begegnen, und sie brauchten nicht zu sprechen darüber, ihre Vertrautheit war umfassend.

Es war ein Beginnen: sie begannen ihre sich noch fremden Körper zu erspüren. Sicher, da waren diese Anziehungen, da war dieses Verlangen, doch es lässt sich nicht immer alles täppisch ertasten. Sie fanden andere Möglichkeiten der Annäherung. Ließen die Hand außerhalb ruhen, dort wo die Aura begann. Dann ein Zurückziehen, bis die Anziehung nachließ, um wieder erneut einzutauchen, um das Sichweiten zu erspüren, mitzuspüren, wie sich im Inneren das Verlangen seine eigene Sprache suchte, wie es beider Verlangen war, welches da sprach, um sich wieder nah an die Berührung zu trauen. Ein erneutes Zurückzuziehen. Sie legten ihre Hände wieder auf diese Grenze, auf diese spürbare Membran, durch welche die Anziehungen und Strömungen passieren konnten, um dann, als die Anziehung zunahm, es den Händen zu gestatten, das erste Mal die Haut zu spüren. Schon waren beider  Atem zu hören, zwei Wellen liefen aufeinander zu, liefen ineinander, und die Körper umarmten einander, wie der Wind die Bäume umarmt, wie die Welt sich selber umarmt.

Dann wieder spürten sie dem Verebben nach, glitten mit dem Rückzug der Wellen ins Verharren zurück, während beider Aurenraum sich mit Wärme füllte, und immer wieder dies Verlangen, die nächste Welle hob an, ohne das Zutun beider, und ein erstes Sichverlieren begann. Sie schauten sich in die Augen. Die strahlten. Selig.

Als sie wieder am Rosenbogentor des Gartens auftauchten, saßen da immer noch der alte Mann und die alte Frau vor dem Häuschen, der alte Mann nickte, seine Augen lächelten, und die alte Frau strahlte sie mit freudigem Blick an. Und sie winkten zum Abschied und stiegen in die Stille des Waldes.

Nun erkannte er den Wald wieder, und es war der Wald, den er kannte von endlosen Spaziergängen, von den Pilz- und Beerensammeltagen, und neben ihm ging auf dem vertrauten Weg eine Frau im geblümten Rock, sie trug einen Rucksack und ihre Augen funkelten, um ihrem Munde herum war das Rot von genaschten Waldhimbeeren. Sie grüßte ihn, und fragte ihn nach dem Weg, einem Weg zur nächsten Raststätte. Er zeigte dorthin, sagte etwas von gemeinsam gehen. Freudig willigte sie ein.

Im gemeinsamen Gehen schaute er vor sich auf den Weg, und dann wieder verstohlen zu seiner unverhofften Begleiterin, er schaute verstohlen zu ihr aus den Augenwinkeln, und er fand, dass sie wunderschön war. Er lauschte dem Lied, welches sie leise summte, es war keine Melodie darin, es waren gleichmäßige Töne, die warm sein Herz berührten. Er freute sich am Schwingen ihrer Schritte und immer wieder musste er schauen und lauschen. 

Als sie unverhofft seine Hand nahm, blickte er sie überrascht an, verwirrt durch die unerwartete Berührung, die doch so vertraut sich anfühlte. Etwas in ihm wanderte durch träumende Erinnerungen an einen Garten und an eine Seligkeit, die dort durch die Pflanzen wanderte, und für einen kurzen Augenblick war es ihm, als schaute Pan mit gewitzt lächelnden Augen aus dem Gesträuch im Walde. Ja, sie berührte ihn, sie nahm seine Hand wie selbstverständlich und es war selbstverständlich, denn ihre Hände gehörten zusammen. Hand in Hand gingen sie ihres Weges.


Besuch



Heute Morgen spät aufgewacht, die Sonne scheint schon hell, und ein blauer Himmel überspannt die Gärten. Ich habe Besuch, denn ich bin bei mir. Ein kleiner scheu blickender Junge in Lederhose, schaue ich mich an. Fremd bin ich mir geworden, und so stehe ich einfach da und schaue. 

Wie wenig weiß ich doch von mir und dem, was vor mir liegt. Verlegen frage ich nach meinem Leben und meinen Träumen. Und so sage ich: "Gut, es ist einiges anders gekommen, als ich es erwartete, und wieder einmal bin ich bereit zu wachsen. Es gibt diese Tage, wo das Leben mich anschaut, und ich schaue zurück, und ich weiß nicht um das Kommende. Was soll ich Dir erzählen? Tapfer war ich, und feige, habe mich getraut, und habe mich nicht getraut, und immer ging es weiter. So bin ich gegangen, und so bin ich geblieben. Welch große Wanderung dieses Leben doch ist!"

Was soll ich mir auch anderes erzählen? Noch habe ich Wünsche und Träume, ich weiß darum, und doch bin ich an diesem Morgen wunschlos und traumlos. Nicht glücklich und nicht unglücklich. Noch habe ich Besuch und schaue mich an.





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Mittwoch, 28. August 2013

Gar wundersame Nachrichten aus dem Lande Dingsda (Ein gar seltsamer Wanderer berichtet vom Rosenbogentor)



Gar wundersame Nachrichten aus dem Lande Dingsda

I

So etwa Richtung Nord-Nordwest,
aber noch nicht hinterm Mond,
liegt Dingsda hinterm Städtchen Schilda.
Es ist ganz ungewohnt bewohnt.

Es gibt dort Klänge, Farben, Düfte, Bilder,
der Weg dahin führt durch das Rosenbogentor.
Es ist dort alles so wie hier. Nur eben etwas anders.
(Oder kommt´s mir nur so vor?)


II

In Dingsda wohnen wundersame Leute.
Möchtest du sie kennen lernen,
schau als erstes zu den Sternen,
dass sich dir dein Schicksal deute.

Wenn Mercuria im Sternbild Rabe steht,
so hörte ich aus alten Sagen,
dann kannst du den Aufbruch wagen,
nach einem kurzen Dankgebet.

Am frühen Morgen darfst du dann beginnen,
im ersten Morgennebel-Schimmern,
im letzten Mond, im späten Sternenglimmern.
So wanderst du mit wachen Sinnen.

Kommst du dann an ein Rosenbogentor,
dann tauche tief in Rosendüfte ein.
Die Rosen werden dein Begleiter sein,
und bunte Vögel singen dir im Chor.

Lerne dann, dass du vergessen darfst,
was dein Gemüt bedrückte,
denk an das, was dich beglückte,
als du die goldne Münze warfst.

Dann sage dir, nun ist es gut,
eine gute Gegenwart steht dir jetzt bevor,
du schreitest durch das Rosenbogentor,
und begegnest du mir, ziehe ich den Hut.


III

Bin kein Ritter. Trag kein Schwert.
Bin kein Paladin.
Hab keine Rüstung. Nichts von Wert.
Als treuer Wanderer, so zieh ich hin.

Bin kein Bettler. Bin kein König.
Kein Krösus und kein Großmogul.
Ich habe nichts. Davon nicht wenig.
Habe Bett, Tisch, Schrank und Stuhl.

Fröhlich lebe ich in meiner Klause.
Was ich brauche, schenkt der Wald.
Komm ich vom Wandern dann nach hause,
zeigt sich mein Lebensengel in fröhlicher Gestalt.


IV

Hinter dem Rosenbogentor sprudelt eine Quelle.
Es wispert leis der Bambushain.
Um mich herum ein sattes Rosa, und helle
Pfirsichblütenblätter, fallend hüllen sie mich ein.

Ich gehe den geraden Weg.
Nur doof, dass der sich schlängelt.
Ich werd nicht gern gegängelt.
Über jeden Bach, da führt ein Steg.

Ich bin kein Gast.
Ich wohne hier.
Und wen du dich besonnen hast,
bin ich bei dir.


Ein gar seltsamer Wanderer berichtet vom Rosenbogentor

Es kam mir vor, als wär´s ein Traum,
als ich durch jene Pforte schritt.
Es war ein Rosenbogentor,
durch das ich ging,
während die gewohnte Welt
mir sanft entglitt.
In Rosen tauchten alle Sinne ein,
in Farbenrausch, in Duftgewölbe.
So zog es mich mit allen Sinnen
in diesen Wundergarten elfengleich hinein.

Türen hinter Türen,
die Dich
in neue Räume führen,
und öffnet sich
die nächste Tür,
eröffnet sich ein neuer Raum in Dir.

Weiter führte mich der Pfad,
hin zu einem nächsten Tor.
Dahinter war der Frühlingsgarten,
die Welt war glanzvoll, stark und jung.
Blütenknospen glänzten prall hervor
aus jedem Beet.
In aller Pfade Mitte jener Brunnen,
in dessen Wassern jedes Leid vergeht.

Türen hinter Türen,
die Dich
in neue Räume führen,
und öffnet sich
die nächste Tür,
eröffnet sich ein neuer Raum in Dir.

Die nächste war die Sternenpforte.
Gewaltig war der Glanz,
der mich umschloss.
So weit, so offen war der Raum,
in den die Seele hingegeben
gewaltig sich ergoss.
Um mich in Chören Klänge von den Sternen,
ein Pulsieren aus
kobaltblauen Fernen
führte zu den Quellen
allen Lebens weit hinaus.

Türen hinter Türen
die Dich
in neue Räume führen,
und öffnet sich
die nächste Tür,
eröffnet sich ein neuer Raum in Dir.

Schließlich kam ich durch das Nadelöhr
zurück in diese Welt.
Es war die gleiche hastend-müde Welt,
die an soviel Sehnsucht litt.
Und dennoch liegt für mich ein Glanz darüber,
seitdem ich dieses Rosenbogentor durchschritt.


Später Mond

Ich sah den Mond
Silbernetze flechten
aus Spinnenweben, taubeträuft -
die Tropfen hingen Perlen gleich
im Ried -
Aus jedem Tropfen schien
der Mond im Kleinen,
ein jeder wurde vom Monde
zum Leuchten gebracht,
und so gab es tausend Monde
in der Nacht.




Intimität


„Hast Du mit ihr geschlafen?“ Eine Frage, vom Freunde gestellt.

„Habt ihr mit einander geschlafen?“ Ja, wir wachten miteinander. Nächte durch. Haben uns angeschaut, uns berührt, waren in einem guten Geheimnis.

Unsere Intimität war jenseits allen „miteinander geschlafen“, sie war übergroß, denn wir waren uns ohne Masken begegnet. Dieses wohl so wichtige „miteinander geschlafen“ geschah eher beiläufig, denn es war nicht unser Ziel. Es ist nicht unsere Frage.

Es geschah einfach in unserem Schutzraum unter dem Dach, in dem wir uns so nahe kamen, dass die Herzen glühten. Wir haben uns unsere tausend und eins Gesichter gezeigt, haben uns geherzt, haben uns lange Zeiten nur angeschaut, weil wir so schön waren. Wir leuchteten von innen.

Als mir vom Freunde diese Frage gestellt wurde, kam sie mir so ferne vor. Sie fand keine Resonanz in meiner Seele. Wirklich, wen interessiert das? Meint irgendwer, dass die Beantwortung dieser Frage mit "ja" oder "nein" irgend etwas über Intimität aussagt?.

Eigentlich waren wir in der Zeit unseres Beisammenseins niemals außerhalb der Intimität. Beantwortet das Deine Frage, mein Freund? 





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Dienstag, 27. August 2013

Der Stuhl zwischen allem

Heut morgen auf dem Weg vom KleinHäuschen ins Dorf (die Gröpelinger mögen mir verzeihen, dass ich diesen Stadtteil Bremens nicht anders als das "Dorf" nennen kann.): Zwischen den Bahnunterführungen steht rechts ein Ahorn mit sieben Stämmen. Er wäre mir vielleicht nie in dieser Deutlichkeit aufgefallen, wenn nicht irgendwer einen Stuhl, mit blauer Sitzfläche und blau gepolsterter Lehne, zwischen diese Stämme drapiert hätte.

Als ich mich nun in Gedanken auf den blauen Stuhl nieder ließ, sagte der erste der sieben Stämme, der kräftigste, zu mir: "Die Welt ist alt genug, sie weiß, wie sie sich rettet".

Und der zweite der Stämme flüsterte mir zu: "Sterben tust Du sowieso".

Der dritte der Stämme rief mir stimmlos zu: "Deine Kinder werden ihren Weg gehen. Zur Not auch mit Deinen guten Ratschlägen."

Der vierte darauf: "Dir ward gegeben, Dir ward genommen. Was gibst Du? Was nimmst Du?"

Der fünfte, wie Blätterrauschen: "Rufe den Wind, und er wird wehen. Rufe die Sonne, und sie wird scheinen. Rufe die Nacht, und die Finsternis erblüht. Rufe die Engel, und sie werden sprechen. Rufe den Tag und er wird kommen. Möge Dein Ruf ein großer Gesang sein!"

Der sechste darauf brach in schallendes Gelächter aus und rief: "Geh mir aus der Sonne, auch wenn es der Mond ist!" 

Und der siebente endlich, welcher der feinste und zarteste war: "Trage den Gürtel der Nacht, wenn Du zur Liebsten gehst!"


In meinem Kopf rumorte es eine zeitlang. Doch dieses endete, als ich auf dem Rückweg vom Dorf in das KleinHäuschen eine Feder des Hüters des Waldes fand. Nun habe ich genügend, worüber ich sinnen kann, während ich heut nachmittag das Unkraut jäte und den Rasen mähe.









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